Kommentar: Clemens Tönnies, Mitgliederversammlung und der ganze Rest

Am Sonntag ist es soweit. Schalker Mitgliederversammlung. Die Vorzeichen, dass dort in wenigen Stunden mehr Spannung aufkommt als bei der wochenlangen Bläh-M in Frankreich sind gut.

KolumneDie königblaue Internetwelt läuft heiß, Diskussionen in Foren, sozialen Netzwerken. Die blau-weißen Stammtische, Theken, Trinkhallen glühen wie sonst nur die Wangen von Frau Krakuschinski an der Fritteuse von der Futterkrippe im Hochsommer.

Mittlerweile wäre es gar nicht mehr so unwahrscheinlich, wenn wir asozialen Schalker uns am Sonntag wieder gegenseitig auf die Schnauze hauen. In guter alter Tradition ehemaliger Hans-Sachs-Haus- oder Schürenkamp-Saalschlachten. Rumble in the Arena-Jungle. Fußballdeutschland würde aus dem schadenfrohen Einnässen nicht mehr rauskommen, Pressevertreter könnten schon heute beim bloßen Gedanken daran die Erektion nicht mehr verbergen.

Ich habe lange überlegt, ob ich in dieser Atmosphäre etwas zum derzeit allbeherrschenden Thema auf Schalke schreiben soll. Könnte ja besser auch einen Sisyphos-Stein die Rungenberghalde hochschieben, und oben drauf sitzen perlentragende Schweine-Eulen. Hat ja jeder schon was gesagt oder geschrieben. Dazu kommt, dass alles so komplex ist, um es überhaupt würdig in einen kurzen Artikel zu quetschen. Mittlerweile sind auch viele Schalker nur noch genervt von der Causa Tönnies. Gegenseitig hören, erhören oder zuhören ist längst aus der Mode. Ist aber auch schwierig. Denn es geht primär um emotionale Meinung.

Ich beispielsweise bin 1904% davon überzeugt und wünsche, dass Clemens Tönnies Vorsitzender bleibt.

So ist es. Ich kann mir keinen besseren Vorsitzenden für den Schützenverein zu Rheda e. V. von 1833 vorstellen.

Als Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04 e.V.? Da ist meine Sicht allerdings nicht mehr so deutlich.

Warum?

Clemens Tönnies. Bild: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images
Clemens Tönnies. Bild: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images

Es gibt die gängigen Kritik-Gründe. Die Art seiner Amtsausführung, Eilausschuß-Thematik, Positionierung im Tagesgeschäft, Alleingänge, die mittlerweile sehr lange Amtszeit und ob nicht auch prinzipiell die Zeit für einen Wechsel gekommen ist. Alles schon lang und breit diskutiert bis zum Ermüdungsbruch der Respektshemmschwelle, ohne dass es jemals einen Nenner gab.

Als Mensch gestehe ich mir aber auch die Schwäche ein, dass neben fachlich sachlich Gedanken, auch eigene Wertvorstellungen und emotionale Aspekte eine Rolle spielen. Die in der Regel dann nicht klinisch analytisch rein sind. Und natürlich weiß ich darum, dass derartiges von Tönnies-Befürwortern oder Online-Cyrano-de-Bergeracs nun schenkelklopfend als mein Eigentor anerkannt wird.

Ich war nie mit Clemens Tönnies im Urlaub, habe nie in seinem Flugzeug gesessen. Habe nie mit ihm ein, zwei, dreißig Pils getrunken. Trotzdem maße ich mir mein persönliches Urteil aufgrund seines Wirkens, Auftretens, Verhaltens und Beobachtungen an.

Ich mag ihn nicht.

Ich mag die Art seiner Selbstinszenierung nicht.

Ich mag nicht, dass er es geschafft hat, einen Posten des Hintergrunds mit einem derartigen Personenkult zu befeuern.

Ich mag die Art seines Kritikumgangs nicht, die überheblich, polemisch und provokativ wirkt, und nicht herzlich kumpelhaft ehrlich, wie es zum Beispiel ein Assauer beherrschte.

Doch prinzipiell kommt in meinen Augen eine moralische Komponente dazu. Es geht nicht darum, dass Menschen asketische Engel sein müssen. Mist hat fast jeder an den Pfoten. Nur: Wie groß darf der Haufen denn sein?

Wer eine Person wie Wladimir Putin mit Stolz zu seinen Freunden zählt.
Jemand, der es in der Fleischindustrie, einer der meines Erachtens dubiosesten Wirtschaftszweige, auf dieses Level gebracht hat.
Wer im Dunstkreis eines Carsten Maschmeyer schlawinert, inklusive Cum-Ex.
Jemand, der mit dem furchtbarsten Boulevardblatt so gerne über den platten Schleimdeich Schalke-Boßelt.

Dann frage ich mich ganz einfach: Ist das Jemand, den ich in wichtiger Funktion in meinem Verein sehen will? Und glaube ich dann wirklich, dass mit diesem Jemand alles hundertprozentig sauber im Aufsichtsrat und fair auf den Nebenplätzen der Vereinsführung zugeht?

Oder mache ich die Augen zu und wähle die einfachste Variante unter dem Motto: „Wat interessiert mich dat allet da drumherum? Et geht ja nur um Schalke!“

Diese Fragen darf jeder für sich selbst beantworten. Traurig macht es mich auf eine gewisse Art und Weise, dass derartige Aspekte für immer noch nicht genug Schalker in der Beurteilung eine Rolle spielen. Dabei denke ich auch in dieser Hinsicht, dass wir bekloppten Schalker anders sind und andere Wege gehen können.

Sonntag steht Clemens Tönnies zur Wahl.

Keiner kann voraussagen, ob wir mit oder ohne ihn im Aufsichtsrat mehr Tore schießen, Titel gewinnen, tollen Fußball sehen, wirtschaftlich stärker werden. Genauso kann nicht vorausgesagt werden, wieviel Anteil überhaupt so ein Aufsichtsratsvorsitzender daran hätte. Schätzung allerdings: Geringer als von vielen angenommen oder behauptet.

Ich glaube, dass zumindest ohne Clemens Tönnies wieder mehr Augenhöhe und Meinungsakzeptanz auf Schalke Einzug halten würde.

Sonntag steht Clemens Tönnies zur Wahl.

Egal, wie die Wahl ausgeht. Jedes Ergebnis, dass die Mitglieder bewirken, akzeptiere ich. Ich hoffe, dies beherzigen auch alle anderen Mitglieder, egal welcher Meinung. Und dann sollte erstmal gemeinsam der Fokus auf die nächste Saison gelegt werden. Denn eine schöne Variante für alle, wie Clemens Tönnies sein Amt niederlegt, wäre ja noch: Wenn er das Versprechen an seinen Bruder endlich erfüllt hat.

Glückauf. Bis Sonntag. Haut mir nur nicht auf die Schnauze. Werft lieber Frikadellen in meinen Rachen.