Kommentar: So schafft sich Schalke ab

Seit Monaten gibt der einst so große FC Schalke 04 in der Öffentlichkeit ein unterirdisches Bild ab. Sportlich absolut erbarmungswürdig und in der Außendarstellung abseits des Platzes so amateurhaft, dass selbst Kreisklasse-Clubs verwundert bis peinlich berührt innehalten. Festzuhalten ist: Fast alle der offenkundigen Probleme auf Schalke sind hausgemacht und damit Fehler des Managements. Noch schlimmer ist: Besserung ist nicht in Sicht.

Die leidgeprüften Schalke-Fans lechzen seit Monaten nach irgendeinem positiven Zeichen, irgendetwas, auf das man als Schalker stolz sein kann. Doch, verdammt nochmal, es passiert nichts. Im Gegenteil: Die schlechten Nachrichten und Peinlichkeiten reißen nicht ab.

Auf dem Fußball-Platz ist keinerlei nennenswerte Verbesserung festzustellen. Saisonübergreifend gab es 21 Spiele ohne Sieg für die Königsblauen. Nach zahlreichen Negativrekorden jagt Schalke jetzt sogar den Rekord der schlechtesten Mannschaft in der 57-jährigen Bundesliga-Geschichte: Den von Tasmania Berlin, die vor Jahrzehnten 31 Spiele ohne Sieg blieben.

Unter Schalkes neuem Chef-Trainer Manuel Baum war ein 1:1 gegen Union Berlin das höchste der Gefühle. RB Leipzig und Borussia Dortmund stellten sich für Schalke als wahre Übermannschaften aus, gegen die Schalke keinerlei Chance hatte. Noch erschreckender als die Torstatistik unter Manuel Baum (1:7) und die Bilanz seit der Rückrunde ist die Art und Weise, wie Schalke spielt. Insbesondere im Spiel nach vorn schaffen es die Profis nicht einmal zwei Pässe zu spielen, bis der Ball wieder verloren geht. Es scheint auf Schalke bereits an den Basics zu scheitern.

Fast muss man glauben, die Profis hätten sich der Leistung des Schalker Managements angepasst, das nicht nur glücklose, sondern auch krasse Fehlentscheidungen traf und trifft.

Aber der Reihe nach: Erst trat Clemens Tönnies von seinem Posten als Aufsichtsratsvorsitzender zurück. Auch Schalkes langjähriger Finanzvorstand Peter Peters nahm seinen Hut. Mit Christina Rühl-Hamers rückte dem Vernehmen nach ein Notnagel in den Vorstand auf. Offenbar wollte kein anderer den Job antreten. Hatte sich Schalke mit den beiden Rücktritten aller Probleme entledigt? Nein, die Krise wurde sogar noch schlimmer.

Ein wesentlicher Faktor: Die Coronakrise hat für Schalke wirtschaftlich bedrohliche Ausmaße angenommen. Im ersten Halbjahr 2020 ging der Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 50% zurück, der Schuldenberg wächst also weiter an und hat inzwischen wieder bedrohliche Ausmaße angenommen. Dass Schalke auf eine Bürgschaft des Landes NRW angewiesen ist, dürfte Bände sprechen.

In einer viel beachteten Pressekonferenz informierten die Vorstände Schneider und Jobst über die wirtschaftliche Situation und die sportlichen Zielsetzungen der nächsten Jahre. Schalke werde auf absehbare Zeit nichts mit den Europapokal-Plätzen zu tun haben, so Alexander Jobst. Ja, wenn es denn so wäre! Vier Monate später spielt Schalke gegen den Abstieg.

So ein bisschen hatte ich persönlich die naive Hoffnung, dass in dieser wirtschaftlich angespannten Situation die Stunde des Kaderplaners Michael Reschke schlagen könnte. Der müsste mit seinem Netzwerk und seiner Kompetenz doch mit kreativen Ansätzen, bestenfalls mit den vielen Talenten aus der Schalker Knappenschmiede, einen hungrigen Kader zusammenstellen. Gewiss: Topverdiener wie Nabil Bentaleb konnten nicht verkauft werden und belasten weiter das Personalbudget. Was die Kaderplanung angeht, blieb es meines Erachtens dennoch erschreckend ruhig.

Zu ruhig vielleicht. Denn mit Daniel Caligiuri vergraulte man einen Top-Mann, der stets Leistung brachte und meistens zu den fleißigsten Leuten auf dem Platz gehörte. Und, nebenbei bemerkt, der einzige war, der auf der rechten Seite zuhause war, nachdem klar war, dass Jonjoe Kenny zum FC Everton zurückkehren würde. Nachdem Schalke Caligiuri generös eine Halbierung seines Gehalts anbot und sich danach offiziell aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise nicht mehr bei dem Profi meldete, flüchtete dieser nach Augsburg. Wer will es ihm verdenken? Nach erfolglosen Experimenten vor allem mit Sebastian Rudy auf der rechten Verteidigerposition holte man den Youngster Kilian Ludewig, Wunsch-Kandidat nicht von Reschke, sondern von Manuel Baum.

Während Schalke also sportlich wenig dafür tut, dass man als Schalker stolz auf seinen Verein sein kann, passieren auch abseits des Platzes zu viele Katastrophen, sodass man in unregelmäßiger Regelmäßigkeit sprachlos zurückbleibt. Ein paar Beispiele: Das Dauerkarten-Theater mit seinem traurigen Höhepunkt in Form des Härtefall-Antrags und wenig später die Trennung von zwei Dutzend Mini-Jobbern, Fahrern der Knappenschmiede, für die inzwischen neue Jobs gefunden worden sein sollen.

Man kommt nicht drumrum festzustellen: Der Verein agiert nicht nur gegen sein eigenes Leitbild („Aus unserer Tradition als Bergarbeiterverein heraus bekennen wir uns zu unserer sozialen Verantwortung.“), er eckt auch immer häufiger mit seinen Fans an.

Die stellen sich immer öfter die Frage, ob die handelnden Person das wirklich alles ernst meinen. Der Tiefpunkt, bei dem die Frage gestattet sein darf, ob Management und Verantwortliche den Verein überhaupt ansatzweise verstanden haben: Das TikTok-Video nach der Derby-Klatsche letztes Wochenende. Darin emotionale Bilder von enttäuschten Schalker Profis, über die virtuelle Regentropfen oder Tränen gelegt wurden. Dazu eine Kinderstimme: „Was ist los? Geht‘s dir nicht gut? Tut dir was weh? Soll ich singen? Das hilft mir immer. Hör auf zu weinen…“ Sich selbst mal auf den Arm nehmen können, OK. Hey, wir sind schließlich Schalker. So ein Video nach dem „wichtigsten Spiel des Jahres“, wohlgemerkt ein offizielles Video des Vereins, hätte man eher feixenden Dortmund-Fans zugetraut als dem eigenen Verein.

Wenig später äußerte sich Schalkes neuer Leiter Sportkommunikation Marc Siekmann zu dem Video. Nebenbei bemerkt, auch so eine merkwürdige Personalie: Kurz vor Siekmanns Antritt hatte sich Schalke vom langjährigen Pressesprecher, dem erfahrenen Thomas Spiegel, getrennt und dessen Postion von Marc Siekmann, einem 27 Jahre alten Redakteur der „Bild“-Zeitung, neu besetzt.

In langen 120 Sekunden rechtfertigt Siekmann das Video. Man habe die Reaktion „einiger Fans“ wahrgenommen, so Siekmann. Man müsse gewisse Dinge aber „plattformspezifisch produzieren, weil es einfach unterschiedliche technische Voraussetzungen gibt.“ Vielleicht hätte ihm jemand sagen sollen, dass die unterschiedlichen technischen Voraussetzungen und Formate mit dem Inhalt erstmal wenig zu tun haben. Man muss Zweifel haben, ob die verantwortliche Social-Media-„Fachabteilung“ und einer wie Siekmann den Verein verstanden hat, wenn dieser betont, der Verein müsse die „Wirkung seiner Inhalte ganzheitlicher sehen, nicht nur auf die Plattform beschränkt.“ Bullshit! Das Video war Scheiße und eine Verhöhnung der Mannschaft und ihrer Fans. Wer das nicht erkennt, hat nichts auf Schalke zu suchen. So einfach ist das.

Die Reaktionen der Fans ließen jedenfalls nicht lange auf sich warten. Vor dem Stadion etwa hängten Fans ein Plakat mit der Aufschrift „Tik Tok? geht´s noch?! Hört auf, unseren Verein zu blamieren“ auf.

Twitter-Userin „Lotta Lynx“ brachte es stellvertretend für viele Schalke-Fans auf den Punkt: „Wie ich seit Wochen einen Strohhalm suche, der mich dem #S04 wieder näher bringt – und dieses TikTok-Video bekam. Visualisierte Entfremdung auf einem neuen Level.“

Bleibt zu hoffen, dass der FC Schalke heute Abend gegen Stuttgart in die Erfolgsspur zurückfindet. Abseits des sportlichen Geschehens werden wir notgedrungen wohl weiter mit allerhand neuen Peinlichkeiten rechnen müssen.

Klar ist aber auch: Vor allem in schwierigen Zeiten wie diesen müssen wir Fans zusammenstehen. Denn wie sagte der unvergessene Charly Neumann? „In schlechten Zeiten müsst ihr Schalker sein. In guten haben wir genug davon.“ – Damit es eben nicht heißt: „Schalke schafft sich ab“.