Die Saisonanalyse 2014/2015

Halbfeldflanke GrossNach einem äußerst mäßigen Start in die Saison 2014/2015 musste Jens Keller im Oktober gehen. Roberto di Matteo übernahm auf Schalke das Ruder und sollte die Mannschaft zurück in die Erfolgsspur bringen. Der neue Trainer schaffte es zwar, die Defensive zu strukturieren und zu festigen, doch die Mannschaft fiel zum Ende der Rückrunde in sich zusammen und auch der neue Coach musste gehen, bzw. legte sein Amt nieder, so die offizielle Version.

Taktik-Spezialist Karsten Jahn hat in seinem Blog „Halbfeldflanke“ die Saison 2014/2015 analysiert. Mit Karstens freundlicher Genehmigung können wir hier seine Gedanken mit euch teilen.
Von Karsten Jahn, „Halbfeldflanke.de

Keller geht

Jens Keller ging als Trainer in die neue Saison, weil die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte unter ihm in der Saison 2013/2014 zustande kam. Dass der Fußball sich dabei keineswegs entwickelte, geschweige denn die Spieler, wird dann gerne außer Acht gelassen. Fußball ist Ergebnissport und derartige populistische Entscheidungen finden sich in den Bundesligen zu Hauf. Die Rechnung folgte dann bei Auftakten in Pokal und Bundesliga, beide verliefen eher so mittel.
Auch über die Sommerpause konnte Keller der Mannschaft keine Spielkultur einimpfen, Mechanismen installieren oder taktische Finessen entwickeln. Schalke spielte also irgendwie weiter, und als die Rückrunde in Vergessenheit geriet, wurde Keller entlassen. Nach dem 7. Spieltag. Timing ist alles.

Di Matteo kommt

Ersetzt wurde er durch Roberto di Matteo. Dieser hatte die Aufgabe die Defensive zu stabilisieren, ein Unterfangen, was Keller in seiner Amtszeit nie so recht hinbekommen hat.
Dagegen kam RDM tatsächlich mit taktischen Raffinessen. Er ließ Schalke plötzlich mit einer 5er Kette spielen und alles wurde besser. Insgesamt wurden alle taktischen Schwächen der Vorsaison adressiert, Schalke verbesserte sich signifikant in der Individualtaktik der einzelnen Spieler, im gruppentaktischen Verhalten und in der Mannschaftstaktik. Dabei gab es hier und da sogar Ansätze auf dem Weg zum Ballbesitzspiel (vor allem im Heimspiel gegen Sporting).
Mit RDM kam eben nicht nur ein Trainer der mal irgendwie einen Champions League Sieg ermauert hat, sondern jemand, der aus taktischer Sicht, einiges von seinem Handwerk verstand. Auch wenn ihm immer vorgeworfen wurde, nur ein Catenaccio (gern auch Schalkenaccio oder „Schalker Beton“ genannt) spielen zu lassen. Die Defensive zu stabilisieren war allerdings eine seiner Hauptaufgaben. Und die meisterte er lange eine Zeit lang mit Bravour, auch wenn sein Konzept dabei öffentlich häufig kritisiert wurde. Immer wieder passte er das eigene Spiel stark an den Gegner an (siehe vor allem die ersten 14 Spiele unter RDM).

Di Matteo geht

Als Jefferson Farfán plötzlich wieder eingesetzt werden wollte, schwenkte Schalke zurück zur 4er Kette und das Drama nahm seinen Lauf. Doch dazu später mehr. Die Einschüsse kamen näher und wurden vor allem zahlreicher. Defensiv geriet Schalke immer mehr ins Wanken, gleichzeitig fehlte ein Plan, wie denn Tore erzielt werden sollen.
Schalke geriet in einen Strudel und immer mehr unter Druck. Di Matteo schaffte es nicht, in dieser Phase die Mannschaft wach zu rütteln. Es folgten taktische Disziplinlosigkeiten und schließlich sagte RDM er würde den Weg Schalkes nicht mit gehen (können).

Die Liga war schlecht

In der Bundesliga wurde in dieser Saison mit Superlativen nur so um sich geworfen. Von Liga der Weltmeister bis zum spannendsten Abstiegskampf der Geschichte. Taktiker reden auch gern von der Pressingliga. Tatsächlich war die ganze Liga, mit vier Ausnahmen, schlecht. Schalke gehörte da zwar noch zu den besseren, aber nur knapp. Damit ist eine Qualifikation für die Europa League gerechtfertigt. Mehr aber auch nicht.
Dass der Abstiegskampf so spannend war, lag nur daran, dass so viele Mannschaften wirklich mies waren. Alle spielten den gleichen ideenlosen Fußball, kaum ein Team nutzte das eigene Potenzial. Dass es eine Mannschaft in weniger als einer Halbserie vom 18 Platz auf die Europa League Plätze schafft, ist bezeichnend.

Saison 2014/2015: Vergleich Torverhältnis-Entwicklung Schalke 04 vs. Borussia Dortmund.
Saison 2014/2015: Vergleich Torverhältnis-Entwicklung Schalke 04 vs. Borussia Dortmund. Bild: Halbfeldflanke

Dortmund ist ein schöner Vergleich. Der Verlauf des Torverhältnisses (siehe Grafik) spricht Bände. Dortmund, individuell stärker besetzt als Schalke, hatte eben wie Schalke eine Phase, in der es so richtig schlecht lief. Die Hinrunde. In der Rückrunde schafften sie es dann, sich selbst wieder aus dem Loch zu ziehen. Der Fußball war meist zwar immer noch nicht wirklich gut, aber immerhin schafften sie es, die Qualität besser auf den Rasen zu bringen. Bei Schalke war es eher umgekehrt. Etwas verschoben, war eine Halbserie sehr gut. Und zwar die erste, abzüglich Holperstart. Mit der Rückrunde ging es dann bergab, spätestens ab dem Derby. Schalke landete letztlich knapp vor Dortmund, das war aber eine Frage des Timings. Letztlich gilt Dortmund gefühlt als der Sieger, weil es besser wurde, im Gegensatz zu Schalke.

Probleme im Spiel

Eine Zeitlang lief’s wirklich gut für Schalke. Die 5er Kette war installiert und die Gegner, mit Wolfsburg angefangen, bissen sich reihenweise die Zähne aus. Der spielerische Höhepunkt war dabei sicherlich das Champions League Achtelfinal-Rückspiel in Madrid, nach einem schon recht überzeugenden Hinspiel.
Dann ging’s plötzlich bergab. Alles fing damit an, dass der Rest der Liga inzwischen genug Zeit hatte, sich auf die 5er Kette einzustellen. Immer häufiger konnten die Schwachpunkte (Fokus auf Zentrum und Konter) ausgenutzt werden. Darum musste Di Matteo umstellen. Genauer gesagt mit dem Spiel gegen Augsburg Anfang April. Ein 4-2-3-1 wurde gewählt, ohnehin Bundesligastandard und das bevorzugte System des wieder genesenen Jefferson Farfán. Doch es fehlte ein Plan, Tore zu schießen.
Immer deutlicher wurde die Lücke im Zentrum und das generelle Problem im Angriffsdrittel. Zunächst setzte RDM auf klassisches Flügelspiel, was die Probleme noch einigermaßen auffangen konnte. Doch auch da stellten sich die Gegner drauf ein, beginnend mit Mainz. Und Schalke bekam richtige Probleme. Immer deutlicher wurde, dass jemand fehlte, der im offensiven Zentrum die Bälle verteilte, Spieler einbinden und Chancen kreieren konnte. Ein klassischer 10er eben.
Den Höhepunkt dessen gab es im Spiel gegen Stuttgart, wo RDM letztlich drei 10er einwechselte. Kevin Prince Boateng stach, entschied das Spiel und wurde eine Woche später rausgeworfen.

Probleme in der Mannschaft

Wenn’s sportlich nicht läuft, ist das Timing gut, auch noch einen Nebenschauplatz auf zu machen. Offensichtlich wurde, dass die Mannschaft die Aufgabe Bundesliga nicht mehr gewissenhaft erfüllte. Die Bewegungsbereitschaft nahm immer mehr ab, die taktische Disziplin eben so. Das Ergebnis war, was häufig “blutleere Vorstellung” genannt wurde.
Mannschaftsintern scheint der Haussegen schief gehangen zu haben. Warum das so ist, vermag ich aus der Ferne nicht zu beurteilen. KPB, Sam und Höger als Lösungsansatz in die Wüste zu schicken, möchte ich aber zumindest hinterfragen. Denn das schmälerte die Qualität weiter.

Der Umbruch

Letztlich scheint daraufhin zumindest ein Trainerwechsel sinnvoll, auch wenn er zu einem unpassenden Zeitpunkt kommt. Das jetzt alle Welt einen Umbruch erwartet, verstehe ich persönlich nicht. Denn eigentlich ist Schalke schon seit Jahren in einem Umbruch.
Schalke setzt immer mehr auf die eigene Jugend und verzichtet darauf, alteingesessene Spieler zu kaufen. Die Ausnahme bestätigt natürlich die Regel. Positionen, die nicht angemessen besetzt werden können, werden von außen hinzugezogen (etwa Choupo-Moting oder Szalai). Da aber auch alle Welt immer wieder nach Typen und erfahrenen Haudegen schreit, an denen sich die Jungen aufrichten können, kamen andere (etwa KPB, aber auch Santana). Aber das waren Ausnahmen, der eigentliche Fokus lag auf Jungspunden und Eigengewächsen.
Sieben Spieler aus der eigenen Jungend in der Startelf zuletzt kommen ja nicht von ungefähr. Und da sind weder Draxler noch Goretzka (nicht aus der Knappenschmiede, aber trotzdem noch u21) mitgezählt.
Was allerdings passieren muss, ist ein systematischer Umbruch. Es fehlt an einer weiterführenden Spielidee, die entwickelt werden muss. Die immer wieder genannten Aspekte “Defensive stabilisieren” oder “mehr Tore schießen” sind nichts mehr als Symptome. Eine generelle Idee muss her. Und es muss allen Beteidigten klar sein, dass es Zeit braucht, bis diese wirklich entwickelt ist.

Ausnahmen & Ausreden

Einer der wenigen herausragenden Spieler ist Dennis Aogo, der erstaunlich beständig spielte. In jedem Spiel auf nahezu dem gleichen Niveau, ohne wirkliche Ausreißer. Selbst in seinem Finale gegen Paderborn, in dem die Mannschaft verunsichert war wie nie (Passerfolgsquote traurige 73%), erreichten noch über 90% seiner 51 Pässe einen Mitspieler. Natürlich ist er nicht der perfekte Über-Spieler, das größte Problem der Spieler auf Schalke in dieser Saison war allerdings die Beständigkeit. Und da waren Aogo und natürlich Ralf Fährmann die großen Ausnahmen. Matija Nastasic ebenfalls, aber der hat ja nur eine Halbserie gespielt, inklusive Eingewöhnung. Wer weiß, wozu der noch alles in der Lage ist!
Immer wieder wird die Verletzungsmisere genannt, wenn die Leistung Schalkes diskutiert wird. Schalke hat in dieser Saison so viele Ausfälle zu beklagen gehabt, wie kein anderer Bundesligist. Aber erstens ist das ja auch nichts neues. Und zweitens kann das in der schwachen Liga keine Ausrede sein. 13 Punkte hinter dem 4. Platz ist ein Witz. Wer eine Saison ohne Niederlage gegen die Bayern (Hinspiel, Rückspiel) beenden kann, kann sich auch für die Champions League qualifizieren. Wer aber gegen Hamburg keinen Sieg zustande bekommt, macht was Grundlegendes falsch. Dafür ist die Kaderqualität auch in der zweiten Reihe noch zu hoch.
Und trotz der extrem schlechten Schlussphase gab es nur sechs Mannschaften, die in der Rückrunde weniger Gegentore bekommen haben als Schalke. Die Defensive zu stabilisieren, das hat geklappt. Zumindest so halbwegs gut.

Fazit

Schalke wirft den ersten Trainer raus, weil der die Mannschaft nicht weiter entwickelt. Der nächste Trainer schafft das, aber nicht nachhaltig genug. Und letztlich fällt die Mannschaft auseinander. Es fehlte an einem 10er, der die Fäden im Angriffsspiel zusammenhält. Mindestens. Oder gar an einer generellen Spielidee. Der neue Trainer ist auch daran gescheitert.
Letztlich schaffte es Schalke einmal mehr nicht, eine Spielkultur zu etablieren und seine Spiele weiterzuentwickeln. Der Ausflug in die 5er Kette war interessant, aber nicht nachhaltig genug. Der neue Trainer hat jetzt also Einfluss auf Transfers und kann die komplette Saisonvorbereitung machen, bevor er in sein erstes Spiel geht. Das ist großartig. Nicht so gut ist, dass Heldt dafür jetzt plötzlich einen geeigneten Kandidaten finden muss, während sich der Spielermarkt schon neu aufteilt.
Timing war noch nie Schalkes Stärke…