Es ist Montag und so richtig glauben können es wohl die meisten immer noch nicht. Mit strahlendem Gesicht sitzen nämlich an diesem Montag tausend Freunde an ihren Arbeitsplätzen. Grund dafür: Am Samstag konnten die Schalker 4:2 in Dortmund gewinnen. Dabei hätte die Ausgangssituation für die Schalker nicht schlechter aussehen können.
27 Punkte nach 30 Spieltagen, Tabellenplatz 15, Trainer weg, Zusammenhalt weg und selbst ein Huub Stevens, der sonst immer jede Mannschaft in den Griff bekam, äußerte sich skeptisch. Auch gegenüber seiner Personalie nahmen einige Fans die Rosa-Rote-Brille ab und äußerten sich im Ansatz kritisch über den Jahrhundert-Trainer (die Redaktion berichtete). Das zog weite Kreise und sorgte für immer mehr Unruhe bei den eigenen Fans.
Doch Stevens konnte wieder einmal beweisen, warum er eine Legende ist. Mit einer abgezockten „Taktik“, die die Dortmunder ins Leere laufen ließ, sorgten er und die Mannschaft zum 2. Mal in 2 Jahren für ein Jahrhundert-Derby. So tief wie die Schalker standen, mit kaum Ballbesitz und wenig Aktionen in der gegnerischen Hälfte, sorgte das Team erst einmal für Verwunderung. Hatten doch die letzten Jahre bewiesen, dass man gegen Dortmund mitspielen muss, um eine Chance zu haben. Doch die Wand, die sich rund um Vize-Kapitän Benjamin Stambouli aufbaute, der zum ersten Mal in der Mitte, der Dreier-Kette, respektive Fünfer-Kette spielte, ließ den Gegnern aus Dortmund kaum eine Chance. Das königsblaue Bollwerk der letzten Saison blitzte auf. Dank Dauerpressing und unglaublicher Leidenschaft sowie ständigen Bemühungen um eine Überzahlsituation gegen die dribbelstarken Dortmunder, konnten die Knappen beweisen, warum Sie es verdient haben von den Fans gefeiert zu werden.
Der Schock
Nach den ersten Minuten beruhigte sich langsam das Schalker-Herz, denn die Mannschaft machte einen geschlossenen und leidenschaftlichen Eindruck. Doch Jadon Sancho sorgte mit einem präzisen Pass auf Götze für die erste Schreckminute. Das, was alle verhindern wollten, war eingetreten. Der BVB ging mit 1:0 in Führung. Fans und Fußballexperten befürchteten bereits das Schlimmste, denn auch in den Spielen zuvor fielen die Schalker nach Führungen des Gegners auseinander. Anders dieses Mal. Besonnen und ohne Verunsicherung spielten die Königsblauen genauso weiter wie zuvor. Das war der Schlüssel zum Erfolg.
Standardstärke und zwei Rote-Karten machten den Derbyerfolg perfekt. Zunächst traf Daniel Caligiuri nach einem Handspiel von Weigel vom Punkt. Daran konnte ihn auch die grölende Meute der Gelben Wand nicht hindern, bevor Sané nach einer Ecke das Führungstor erzielte. Zum Schalker Glück konnte Serdar nach zweimaligem brutalem Einsteigen gegen seine Person weiterspielen. So blieben die Roten-Karten das Tüpfelchen auf dem „i“. Den fälligen Freistoß nach dem ersten Platzverweis verwandelte Doppeltorschütze Caligiuri aus 25 Metern direkt. Mit einem präzisen Schuss in den Winkel sorgte er für eine Augenweide und für ungläubiges Staunen vor den Fernsehern. Schon wieder ein direktes Freistoßtor gegen Dortmund – und was für eins! Einmal wurde es nur noch spannend, doch da waren die mitgereisten Schalker bereits in Feierlaune. Witsel traf Volley (84.) zum Anschluss bevor Embolo (86.) die Führung wieder ausbaute.
Perfekter Tag
Der Sieg und Spielverlauf ließ die Schalker-Fangemeinde auf Wolke-Sieben schweben. Doch als wäre das nicht genug, revanchierte sich das Team um Matchwinner Daniel Caligiuri bei den Dortmundern für den geplatzten Meistertitel im Jahr 2007 und ließen die Chancen auf den Titel für den Rivalen aus Dortmund drastisch sinken. Ausgerechnet gegen Schalke! Die Dortmunder Ultras waren bedient. Rund 30 Hooligans stürmten im Anschluss an das Spiel den Gästebereich in dem die Königsblauen mit Ihrer Mannschaft feierten.
After Hour
Nicht nur die Fans feierten im Anschluss an das unglaubliche Derby bis in den späten Abend, auch die Mannschaft konnte sich eine ausgelassene Party nicht verkneifen. In der Vereinskneipe „Bosch“ auf der Schalker-Meile in direkter Nähe zur Glück-Auf-Kampfbahn, hielt der Bus der Profis zur After-Hour. Nübel zapfte Bier, Asamoah zahlte für alle Anwesenden, Schalker-Jung Fährmann machte den Vorsänger und Fans und Mannschaft lagen sich in den Armen. Stevens hingegen saß in der Ecke am Tresen und genoss den Moment mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht. Erlaubnis dazu gab der Cheftrainer persönlich, da seine Jungs diesen Erfolg aufsaugen sollten, um zu begreifen, was man mit Teamgeist und Leidenschaft erreichen kann. Zwei Dinge, die er in der vergangenen Saison allzu oft vermisste.
Jetzt will die Mannschaft nachlegen. Caligiuri, Stambouli und Burgstaller machten klar wie wichtig der Derbysieg für sie und das gesamte Team war, doch betonten auch, dass sie damit nicht alles ungeschehen machen können. Einen großen Dank richteten Sie deshalb an die Fans. Auch Jochen Schneider sagte deutlich, dass es immer noch eine katastrophale Saison sei, er den Sieg aber zu schätzen wüsste und die Mannschaft heute feiern lassen würde. Am Sonntag ging es nämlich mit der Vorbereitung auf Augsburg weiter, um den Klassenerhalt endlich fest zu machen.
Die Miesepeter und dunkle Wolken
Für Aufregung abseits des Platzes sorgten während der 90 Minuten einige Fans aus beiden Lagern, denn sowohl im Gästebereich als auch auf der Südtribüne wurden Banner hochgehalten, die mit Rivalität nicht mehr viel zu tun hatten. So hetzten Dortmunder Anhänger gegen die Schalker mit Hilfe eines schwulenfeindlichen Plakats. Doch einige Schalker schienen diesen Skandal mit einer erneuten Forderung nach einer Freilassung des Dortmunder-Bombenattentäters übertreffen zu wollen. Direkt nach Spielende gab der FC Schalke 04 ein Statement heraus und distanzierte sich klar von Plakat und verantwortlichen Fans.
Wo die Freude, da die Nörgler. Natürlich ließen nicht alle Kritiker die Königsblaue Feiergemeinde so davonkommen. Vor allem der TV-Experte Didi Hamann und Dortmund Coach Favre wetterten gegen die Schalker. So fand Hamann deutliche Worte für das Team und sagte, er hätte sich geschämt, anstelle so überschwänglich mit den Fans zu feiern und Favre sprach von einem der größten Skandale der Fußballgeschichte. Anspielung nahm der Schweizer auf den gepfiffenen Elfmeter zum 1:1. Doch die Kritik interessierte die Schalker-Fans herzlich wenig. An diesem Wochenende durfte gefeiert werden: Mannschaft, Trainer und den Derbysieg.