Schalke 04 hat noch viel Luft nach oben…

Glücklicher 1:0-Erfolg über den SC Paderborn bei Harit-Debüt und Avdijaj-Strafe

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Testspiele sind zum Testen da – und genau das macht Schalke-Coach Domenico Tedesco im Gastspiel beim SC Paderborn ausgiebig. Viele Schalker reiben sich verwundert die Augen, als sie Atsuto Uchida und Coke auf der linken (!) Seite sehen. Am Ende stehen ein knapper 1:0-Erfolg über den Drittligisten und die Erkenntnis, dass noch sehr viel Arbeit vor den Königsblauen liegt.

Trotz bundesliga-untypisch früher Anstoßzeit und Fernsehübertragung machen sich etliche Schalkefans auf den Weg nach Paderborn. Noch im Mai 2015 trafen die beiden Mannschaften in der ersten Liga aufeinander, danach ging es für den SC Paderborn sportlich rasant bergab. Nur durch den Lizenzentzug des TSV 1860 München konnte der direkte Absturz in die Regionalliga vermieden werden. Der Niedergang ist auch an der gerne als „Möbelhaus“ belächelten Benteler-Arena nicht spurlos vorübergegangen, auf den Parkplätzen wuchert das Unkraut meterhoch.

Für den Ordnungsdienst gilt das nicht, die Kontrollen sind für einen freundschaftlichen Testkick akribisch genau. Bestgefülltes Areal im Stadion ist – na klar – der Gästebereich, gut die Hälfte der 8.017 Zuschauer unterstützen die Knappen. Für Erheiterung sorgt, dass das Spiel zwischen Königsblau und Blau-Schwarz noch Teil der Ablösevereinbarung für André Breitenreiter ist, der längst durch Markus Weinzierl ersetzt wurde, der wiederum Tedesco weichen musste.  „Jaja, Fußball ist schnelllebig“ grient ein Schalker in seinen Bierbecher.

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Beim Warmmachen der Mannschaften ruhen viele Augen auf Amine Harit, der zum ersten Mal in königsblau aufläuft und sehr konzentriert wirkt. Schmunzelnd wird auch festgestellt, dass Ralle Fährmann die Timo-Hildebrand-Gedächtnismatte wieder abgeschnitten und „die Haare schön“ hat. Bastian Oczipka, dessen Verpflichtung kurz zuvor auf der Vereinshomepage offiziell gemacht wurde, drückt hingegen seinen neuen Kollegen noch in zivil die Daumen.

Mit einem kurzen Hochjagen der Lautsprecheranlage – trockener Kommentar im Schalker Block: „Bauern aufwecken oder watt?!“ – wird die Mannschaftsvorstellung des neuformierten Paderborner Teams eingeleitet. Pech für die Neuzugänge, die von den BVB-Junioren oder BVB II nach Westfalen gewechselt sind: Der Anti-Lüdenscheid-Nord-Reflex der Schalker funktioniert auch hier zuverlässig. Bei der Schalker Mannschaftsaufstellung wird Donis Avdijaj vom Stadionsprecher zu „Donis Affdatsch“ verballhornt. Später soll sich noch herausstellen, dass es nicht sein Tag ist…

Die Schalkefans sind überrascht, dass trotz der Galavorstellung beim Kick in Erkenschwick nicht Haji Wright, sondern Franco di Santo in der Startelf steht – und dass sich Atsuto Uchida und Coke, beide gelernt Rechtsverteidiger, auf der linken Seite wiederfinden. Schnell wird deutlich, dass beide Mannschaften sich nicht verstecken wollen. Die erste Chance hat der Drittligist, der bereits in der nächsten Woche wieder in die Liga startet, aber Michels Schuss landet am Außennetz. In der 5. Minute wird ein Hackentrick-Tor von di Santo vom Unparteiischenteam um Schiedsrichter Waschitzki wegen angeblicher Abseitsstellung nicht gegeben, was dem Linienrichter einige „Hey, hey, Linienrichter, Linienrichter!“-Rufe der Schalkefans einträgt.

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In Abwesenheit der Ultras Gelsenkirchen bemüht sich ein Trupp Schalker unermüdlich, den Support in Schwung zu bringen, der „Mythos“ klingt noch etwas dünn, aber „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und der SCHALKE – NULLVIER!-Wechselgesang funktionieren immer und überall. Insgesamt entwickelt sich nun ein offener Schlagabtausch, bei dem die Gastgeber deutlich eingespielter wirken und die Schalker Abwehr vor einige Probleme stellen. Aber der Sturm ist auf Zack: Nach guten Chancen für Konoplyanka und Burgstaller ist es der Ukrainer, der nach einer Vorlage von di Santo am schnellsten schaltet und den Ball über die Linie drückt (20.). Zum Jubeln saust auch Fährmann, der in Vertretung für Benedikt Höwedes die Kapitänsbinde trägt, nach vorne.

Der Schalker Block skandiert fröhlich „Ohne Schalke wär hier gar nix los“ und schickt ein uncharmantes „Absteiger“ und „Nie mehr erste Liga!“ hinterher. Die weiteren Chancen der Königsblauen durch Kopfbälle von Naldo und Nastasic und einen wuchtigen Schuss von Burgstaller landen jedoch in den Armen von SCP-Keeper Ratajczak. Danach ist wieder Paderborn am Drücker, doch auch Srbeny, Michel und Wassey haben kein Glück. Keine ganz glückliche Figur macht in dieser Phase Neuzugang Pablo Insua, der Michel zweimal förmlich zum Tore schießen einlädt. Beim zweiten Fauxpas muss Naldo mit einer laaaangen Grätsche kurz vor der Torlinie für den bereits geschlagenen Fährmann klären.

Allgemeines Halbzeitfazit: Glückliche Führung, insbesondere hinten ist noch „satt Luft nach oben.“ Wird Tedesco jetzt durchwechseln und den Jungspunden eine Chance geben? Zunächst sieht es nicht danach aus, nur Alexander Nübel darf an seiner alten Wirkungsstätte das Tor von Fährmann übernehmen, für ihn bekommt Naldo die Kapitänsbinde. Auch der SCP tauscht Ratajczak gegen Zingerle, der kurz darauf gegen Konoplyanka retten muss.

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Nach 10 Minuten herrscht dann Getümmel an der Seitenlinie: Neun (!) Feldspieler werden ausgetauscht, nur „Uschi“ Uchida bleibt auf dem Platz. Unter den „Neuen“ feiert auch Amine Harit sein Debüt im Schalker Dress, die Binde übernimmt jetzt Johannes Geis. Drei-Kapitäne-Spiel…

Für Erstaunen sorgt, dass Donis Avdijaj als Einziger nicht mitmischen darf, sondern sich mit leicht säuerlicher Miene weiter warmmacht. Später kommt heraus, dass seine Nichtberücksichtigung eine disziplinarische Maßnahme war. Tedesco spricht noch von „schmutziger Wäsche, die intern gewaschen wird“, aber Manager Christian Heidel verrät: Avdijaj sei „deutlich“ zu spät gekommen.

Auf dem Feld bemühen sich insbesondere Haji Wright und Bernard Tekpetey, für mehr Gefahr nach vorne zu sorgen, doch die Feinabstimmung fehlt. Auch Weston McKennie ist ein Aktivposten. Harit ist sehr bemüht und lässt ein-, zweimal seine enorme Antrittsschnelligkeit aufblitzen, kann aber noch nichts Verwertbares erzielen. Echte Chancen sind auf beiden Seiten Mangelware, obwohl Tedesco an der Seitenlinie unablässig coacht und dirigiert. In Ermangelung echter Action auf dem Feld schickt der Gästeblock einige akustische „Liebesgrüße“ an Timo Werner.

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Es bleibt beim 1:0. Beide Teams bekommen von ihren Kurven freundlichen Applaus, aber mit Ruhm bekleckert haben sich insbesondere die Schalker nicht. Tedesco ordnet die gezeigten Leistungen denn auch sofort richtig ein: „Wir haben gesehen, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben“. Bereits auf der heute startenden China-Promotion-Tour warten mit Inter Mailand und Besiktas Istanbul zwei echte Prüfsteine…

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