Der Hype um Roberto di Matteo ist groß. Im Umfeld von Schalke 04 wird der Nachfolger vom zuletzt so glück- und offenbar auch konzeptlosen Jens Keller geradezu zum Heiland hochstilisiert, der dem Verein nicht nur zurück in die Spur führen, sondern gleich eine neue Identität geben soll. Ein Thomas Tuchel hätte es vermutlich auch getan, aber offenbar war in der Vereinsführung die Sehnsucht nach einem großen Namen des internationalen Fußballgeschäfts einfach zu groß. Doch was für ein Trainer ist der 44-jährige Italiener überhaupt? Und – viel wichtiger – passt er zu Schalke?
Als Spieler hat der in der Schweiz aufgewachsene Italiener zahlreiche Titel gewonnen, darunter den englischen FA Cup (1996/1997 und 1999/2000) und den Europapokal der Pokalsieger (1997/1998). Zudem sammelte der ehemalige Mittelfeldspieler von Lazio Rom und des FC Chelsea 34 Spiele für die italienische Nationalmannschaft. Nach einem mehrfachen Beinbruch im September 2000 beendete di Matteo im Februar 2002 als 31-Jähriger seine aktive Spielerkarriere.
Seine Karriere als Trainer begann Roberto di Matteo bodenständig in der dritten englischen Liga. Nach einer Saison bei den Milton Keynes Dons, mit denen der Italiener knapp am Aufstieg in die zweithöchste englische Liga vorbei schrammte übernahm di Matteo West Bromwich Albion in der Football League Championship. Nach dem Aufstieg in die Premier League im ersten Jahr, wurde di Matteo während einer Schwächeperiode im Februar 2011 wieder entlassen. Zur Saison 2011/2012 kehrte er als Co-Trainer zu Chelsea zurück, wo er während seiner aktiven Zeit 119 Spiele machte. Nach Villas-Boas Entlassung Anfang März 2012 wurde er zum Cheftrainer befördert. Völlig überaschend gewannen Chelsea und Roberto di Matteo die Champions League gegen Bayern München und den FA Cup, was dem Italiener den Titel des „besten Interimstrainers aller Zeiten“ einbrachte. Zur neuen Saison mit einem brandneuen – und durchaus hoch datierten – Vertrag ausgestattet, war für den neuen Star-Trainer im November 2012 nach insgesamt 42 Spielen Schluss an der Stamford Bridge.
Den meisten deutschen Fußballfans dürfte di Matteo insbesondere als Spielverderber eben beim „Finale dahoam“ in bleibender Erinnerung geblieben sein. In diesem dramatischen Finale spiele Chelsea mehr als defensiv, zuweilen maximal destruktiv. Nach dem späten Ausgleich (88.) zum 1:1 durch Didier Drogba, einem verschossenen Elfmeter durch Arjen Robben, sowie einem Schussverhältnis von 35:9 für den FCB und einem Eckenverhältnis von 20:1 zugunsten der Bayern, gewannen die Engländer das Elfmeterschießen – der nächste CL-Schock für die Bayern war perfekt.
In der deutschen Presse wurden der Chelsea FC und Roberto di Matteo für ihre destruktive Spielweise kritisiert – was vermutlich nicht zuletz an verletzter, nationaler Eitelkeit gelegen haben dürfte. Letztlich ist di Matteo kein Vorwurf zu machen, was in einem Finale eben zählt ist einzig und allein der Erfolg. Und Roberto di Matteo stellte sich auf das Spiel der offensiv starken Bayern ein. Wie bereits zuvor gegen den FC Barcelona agierte er mit zwei Viererketten die extrem tief, zum Teil asynchron standen und sehr diszipliniert zu Werke gingen. Priorität hatte ausschließlich die Verteidigung des eigenen Sechzehnmeterraums. Trotz der drückenden Überlegenheit der Bayern und kaum Entlastungsaktionen nach vorne hielt der Abwehrriegel überwiegend Stand – die Bayern konnten ihre Überlegenheit nicht in Tore ummünzen. Am Ende entschied dann bekanntlich das Elfmeterglück die Partie.
Der vermeintlich überholte Catenaccio war für di Matteo stets die bevorzugte Spielidee gegen spielerisch überlegene Teams wie auch dem FC Barcelona. Roberto di Matteo darf also mit Fug und Recht als Defensivspezialist gesehen werden. Insofern ruhen in ihm die Hoffnungen, der zu Keller-Zeiten immer wieder zu großen Teilen defensiv, hauptsächlich nach Ballverlusten und den anschließenden Kontern, äußerst desolat agierenden Schalker Mannschaft wieder mehr Struktur und Disziplin zu geben.
Zudem darf er als Konzepttrainer und exzellenter Taktiker insgesamt gelten, der seine Mannschaft bestmöglich auf den jeweiligen Gegner einstellt und sie oftmals sehr flexibel spielen lässt. Das beinhaltet übrigens auch, zuweilen offensiv im auf Schalke durchaus bekannten 4-2-3-1 zu spielen. Wenn di Matteo es schafft, den Schalker Spielern sein System einzuimpfen, sollte im Vergleich zum Keller’schen Spiel wieder mehr Konstanz auf Schalke einkehren.
Wer den stets elegant gekleideten Roberto di Matteo an der Seitenlinie oder bei öffentlichen Auftritten beobachtet, kann ihm sein charismatisches Äußeres nicht absprechen. Ihn umgibt eine geradezu weltmännische Aura, die der eines Pep Guardiola nicht unähnlich ist. Dieses Auftreten ist es, das ihn am meisten von Jens Keller unterscheidet. Sein Selbstbewusstsein und sein Umgang mit den Medien dürfte nichts mit dem eines Jens Kellers gemein haben. Und das dürften auch Spieler vom Format eines Julian Draxler oder eines Kevin-Prince Boateng erfahren, denen eine Respektsperson wie Roberto di Matteo durchaus gut tun sollte.
Vorwerfen könnte man di Matteo seine trotz diverser Titel überschaubare Trainer-Erfahrung auf höchstem Niveau. Lediglich etwas mehr als 50 Spiele als Cheftrainer bei Westbromwich Albion und Chelsea stehen auf der Haben-Seite. Sollte ausgerechnet Schalke ihm die Zeit geben, langfristig zu arbeiten? Man mag es bei der traditionellen Unruhe auf Schalke kaum glauben.
Und zuletzt war der Italiener fast zwei Jahre ohne Engagement. Das allerdings könnte an der für ihn komfortablen Vertragssituation bei Chelsea gelegen haben. Wenn die Gerüchte stimmen, dann kassierte di Matteo Woche für Woche ein fürstliches Gehalt von 130.000 Pfund – und zwar bis Ende der letzten Saison. Wer will es ihm verübeln, bei dieser Situation ein zweijähriges Sabbatical eingelegt zu haben? Wenn es auf Schalke mit di Matteo nicht klappen sollte, gäbe es ja noch einen weiteren altbekannten Kandidaten, den man aus dem Sabbatical holen könnte…
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