Anspannung, Angstschweiß, Abstiegskampf – Eine Reportage zum Auswärtsspiel in Hannover

Der Himmel ist noch grau, es ist Sonntagmorgen und auf der Straße sind ebenso wenig Autos wie Menschen unterwegs. Das einzige Geräusch ist das Rauschen vom Wind, der in den Baumwipfeln des nahegelegenen Friedhofs durch die Kronen der alten Eichen streicht. Ich stehe an der Bushaltestelle und trete von einem Bein aufs andere. Nicht nur meine Beine wollen einfach nicht still halten, auch meine Hände knibbeln an der Innentasche meiner blauen Windjacke. Es soll warm werden, aber grade  bin ich froh über die Jacke und die kleinen Bewegungen meines Körpers. Mir ist mulmig zu Mute, aber gleichzeitig steigt in mir die Freude auf. Ich kann es gar nicht abwarten, bis endlich der blaue Bus hinten an der Kurve erscheint. Gleich geht’s los. Auswärtsspiel in Hannover. Abstiegskampf.

2019-04-Schalke-Hannover

Die Busfahrt

Schon seit meiner Kindheit fahre ich mit den Schalker Füchsen zu Heim- und Auswärtsspielen. Man kennt sich, man mag sich. Alles ist vertraut. Die Sitzaufteilung im Bus, die Gespräche und Gesichter. Es gibt klare Rollenverteilungen, aber alle sind herzlich willkommen, denn uns verbindet die Leidenschaft zum FC Schalke 04. Doch eins ist heute anders als sonst. Die Stimmung im Bus ist angespannter. Es steht viel auf dem Spiel.

„Plopp“ – mein Sitznachbar öffnet mir ein Bier und drückt es mir in die Hand, noch bevor er mich richtig begrüßt hat. Mit dem Bier steigt auch die Zuversicht wieder. Irgendwann müssen wir ja wieder gewinnen und wenn nicht in Hannover, wo dann? Der Tabellen-17. hat schließlich schon 61 Treffer kassiert.

Die Gespräche werden lauter, genauso wie die Musik. Auswärtsfahrten sind immer was Besonderes. Auch ich werde langsam ruhiger. Zwar tippe ich auf einen Sieg, weiß aber auch, dass nichts sicher ist in dieser Saison. Meine größte Angst: Das mögliche Relegationsrückspiel am 90. meiner Oma. Das muss verhindert werden! Huub wird es schon richten. Der hat es bisher immer hinbekommen.

Auf der Autobahn fährt ein Auto nach dem anderen an uns vorbei, die ebenso wie unser Bus mit Blau-Weißen Schals und Fahnen dekoriert sind. Man grüßt sich. Wir ahnen was später Gewissheit wird. Hannover ist auch in diesem Jahr Königsblau!

Gesangsprobe

Im Bus werden derweil Klassiker angestimmt. „Ob ich verroste und verkalke…“ oder „Wer hat den besten Schuss im Land? Ebbe, Ebbe Sand“, man erinnert an sportlich bessere Zeiten und hofft, dass die wiederkehren. Auch ich muss zugeben, dass ich mich mit der aktuellen Bundesligatabelle nicht gern beschäftigte.

Um auf alles vorbereitet zu sein, übt ein Kumpel in der letzten Reihe fleißig aktuelle Gesänge: „Der FC Schalke wird Deutscher Meister und spielt nächstes Jahr in Liga 2! Wir fahren nach Dresden, wir fahren nach Bochum und in Kiel werden wir in die Ostsee springen. Auf St. Pauli im Rotlichtviertel sturzbesoffen für dich singen.“ Doch das Bier von Gestern Abend und die Hülse in seiner Hand sorgen dafür, dass es den halben Hinweg dauert, bis er die Zeilen fehlerfrei runtergrölen kann.

In Hannover angekommen, ist der Himmel endlich Blau, keine Wolke zu sehen und auch die Bedenken sind weg. Jetzt gibt es nur noch Vorfreude! Der Geruch von gegrillten Würstchen begleitet uns den kurzen Weg bis zur HDI Arena. Jetzt schnell in die Kurve. Der Gästebereich ist im Gegensatz zum Rest des Stadions schon eine Stunde vor Anpfiff gut gefüllt. Heimspielatmosphäre.

Lauthals begleiten wir die Schalker beim Warmmachen mit Gesängen. Endlich, die Aufstellung ist raus. Nur der verletzte McKennie wurde durch Mascarell ersetzt. Ok, wie gegen Leipzig. Um mich herum wird wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass es keine großen Rotationen gibt. Doch leichtes Stirnrunzeln ist in den Gesichtern trotzdem zu sehen. Nur 2 Offensivkräfte? Gegen Hannover?

Das Spiel

Anpfiff. Nervös umschließe ich mein Bier. Die schwache Phase, mit der das Team um Kapitän Benjamin Stambouli startet, macht es mir nicht leider. Schnell nehme ich einen Schluck nach dem anderen und versuche gleichzeitig meine Daumen zu drücken. Ich bin leicht abergläubisch, musste mir aber eingestehen, dass auch das in der Saison nicht geholfen hat.

In der 39. Minute ist es endlich so weit. Erleichtert springe ich meinen Freunden um den Hals. Geht doch! 1:0 durch Suat Serdar und das aus dem Spiel heraus. Mal keinem Rückstand hinterherlaufen, geil! Bis zur Pause sind wir konstant und auch danach spielen die Schalker solide. Dennoch ist es der erwartete Grottenkick, aber jetzt lässt es sich leichter singen.

Mit jeder Minute, die vergeht, werden die Hannoveraner besser. Sie kämpfen, aber beißen sich an Alexander Nübel die Zähne aus. Mir rutscht beim Lattentreffer kurz das Herz in die Hose. Gebannt schaue ich auf die Uhr. Die Zeit vergeht einfach nicht. Noch 10 Minuten. Still stehen kann ich jetzt nicht mehr. Doch wir Schalker schreien unsere Mannschaft nach vorn. Als würde der Schall den Ball aus dem Netz des Schalker Tores tragen, falls doch ein Hannoveraner versucht wäre zu treffen. Heimspielatmosphäre.

Soweit kommt es aber nicht. Nübel hält die Null. Die Erleichterung nach dem Abpfiff ist riesig. Nicht nur bei mir fällt ein Klotz vom Herzen, auch die Mannschaft feiert unbekümmert und ärgert den Held des Tages, schubst ihn Richtung Fans, die seinen Namen skandieren – Alex Nübel.

Nachdem die Mannschaft in die Katakomben verschwunden ist, stehe ich in der Sonne vor dem Gästebereich. Ganz ruhig, mit beiden Beinen ganz fest auf dem Boden. Mit dem Gesicht in die Sonne gedreht warte ich auf den Rest der Schalker Füchse.

So schön sind Auswärtsfahrten!