Nach der Suspendierung Axel Hefers hob die 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen nun auch den 12-monatigen Ausschluss Dr. Horns aus dem Aufsichtsrat auf. Und die Urteilsgründe sind eine einzige schallende Ohrfeige für den Ehrenrat, wie unsere Autorin Susanne Hein-Reipen meint.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit blamiert ein Schalker Vereinsorgan sich und den Verein zum wiederholten Mal bis auf die Knochen: Das Landgericht Essen attestiert dem Ehrenrat, bei der Suspendierung von Aufsichtsratsmitglied Dr. Horn „grob unbillig“ und „willkürlich“ vorgegangen zu sein. Zudem habe der Ehrenrat seine Zuständigkeit und Sanktionsbefugnis überschritten.
Ein Großteil der Debatten im Vorfeld der diesjährigen Mitgliederversammlung der Königsblauen am 25. Juni dreht sich um den Wahlausschuss und den Satzungsänderungsantrag zu seiner „Reformierung“. Die anderen Vereinsorgane, darunter auch der betroffene Aufsichtsrat und der Ehrenrat, möchten erreichen, dass die Mitgliederversammlung statt wie bisher den kompletten Wahlausschuss nur noch die Hälfte seiner Mitglieder wählen darf und sie die anderen selber stellen bzw. bestimmen können. Gegen diese Verlagerung weiterer Rechte von den Mitgliedern in die Gremien regt sich vielfältiger Protest in der Fanszene. Ein entsprechendes Video der Ultras Gelsenkirchen wurde bereits über 13.000mal aufgerufen.
Die Antragsteller, darunter der Ehrenrat, führen dazu sogar im Mitgliedernewsletter aus, dass „die aktuelle Struktur des Wahlausschusses seiner Aufgabe nicht gerecht würde“. Eine Begründung dazu gibt es ebenso wenig wie eine Aussage, warum das erst im letzten Jahr eingeführte rollierende Wahlverfahren zur Stabilisierung des Wahlausschusses nicht wenigstens einmal erprobt wird. Kritische Fans sind sich sicher: Die Vereinsgremien wollen auch das letzte Organ „auf Linie trimmen“ und vollends unter sich bleiben und somit ein für allemal verhindern, dass es kritische Köpfe überhaupt bis vor die Mitgliederversammlung schaffen.
Das nunmehr vorliegende Urteil des Landgerichts Essen zeigt jedoch, dass sich die Schalker sehr viel mehr Gedanken und Sorgen um die Struktur und Aufgabenwahrnehmung des Ehrenrats machen müssen. Nach der Suspendierung Axel Hefers hob die 4. Zivilkammer nunmehr auch den 12-monatigen Ausschluss Dr. Horns aus dem Aufsichtsrat auf. Und die Urteilsgründe sind eine einzige schallende Ohrfeige für den Ehrenrat, der in Fankreisen seit langem als „Abwehrgremium des Aufsichtsrates“ (so der Wahlausschussvorsitzende S. Schorlemmer auf der Mitgliederversammlung 2015) gilt – und dem das Landgericht bereits im Hefer-Beschluss deutlich ins Stammbuch schrieb, mangels paritätischer Bestimmung nicht als unabhängige und unparteiliche Stelle organisiert zu sein und damit kein Schiedsgericht sein zu können.
Der Streit entzündete sich im Vorfeld der Mitgliederversammlung 2016 an Gesprächen zwischen Dr. Horn und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies über dessen Wiederwahl in den Schalker Aufsichtsrat. Tönnies setzte den Ehrenrat davon in Kenntnis, dass Horn ihm u. a. vorgeschlagen habe, sich wiederwählen zu lassen und nach einem Jahr zurückzutreten.
Der Ehrenrat leitete daraufhin ein Verfahren gegen Dr. Horn ein, weil es „in undemokratischer Weise Absprachen“ zwischen ihm und Mitgliedern des Wahlausschusses gegeben haben müsse. Dieser Vorwurf wurde nach entsprechenden Aussagen der Wahlausschussmitglieder explizit widerlegt.
Stattdessen warf der Ehrenrat in seinem Beschluss Dr. Horn nunmehr vor, Tönnies über eine angebliche Absprache mit dem Wahlausschuss getäuscht zu haben: „…wonach Sie mehrfach an ihn herangetreten sind, um u. a. den Eindruck zu erwecken, dass Sie in der Lage seien und dafür Sorge tragen könnten, dass er „durch den Wahlausschuss komme“. Deshalb enthob der Ehrenrat Dr. Horn am 3. März 2017 für die Dauer von 12 Monaten seines Amtes als Aufsichtsrat. Horn habe durch die „Täuschung“ u. a. gegen Ziffer 5 des Schalker Leitbildes verstoßen und Wahlausschuss und Mitgliederversammlung nicht respektiert.
Gegen diese Suspendierung ging Dr. Horn gerichtlich vor und bekam in allen Punkten vom Landgericht Essen Recht. Dies ist juristisch gleich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen wurde hier im einstweiligen Verfahren die Hauptsacheentscheidung bereits faktisch vorweggenommen – das machen Gerichte normalerweise ausgesprochen ungern und nur, wenn sie fest von einem entsprechenden Ausgang des Hauptsacheverfahrens überzeugt sind. In diesem Fall seien die Nachteile für Dr. Horn, der u. a. rund 18.000 Euro an geldwerten Vorteilen aus der Aufsichtsratstätigkeit verliere und seine Kontrollrechte nicht mehr ausüben könne, aber erheblich gravierender als die Nachteile für den Verein. Wörtlich führt das Gericht aus: „Dem stehen keine bedeutsamen Nachteile für den Verfügungsbeklagten (den Verein, Anm. d. Verf.) bei einer Fortführung seiner Aufsichtsratstätigkeit gegenüber. Dass der Verfügungskläger (Dr. Horn, Anm. d. Verf.) seine Aufgaben als Aufsichtsrat bisher nicht pflichtgemäß erfüllt habe, wird nicht vorgetragen. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass er diese in Zukunft nicht mehr ordnungsgemäß wahrnehmen will. Dass es wegen unterschiedlicher Auffassungen von Aufsichtsratsmitgliedern ohne Suspendierung erneut zu Diskussionen und Spannungen innerhalb des Aufsichtsrates kommen kann, ist bei der gebotenen Abwägung nicht hinreichend bedeutsam. Es gehört zum Wesen verantwortlicher Aufsichtsratstätigkeit, dass man streitige Themen im Gremium des Aufsichtsrates auch kontrovers diskutiert.“
Der zweite ungewöhnliche Aspekt ist, dass vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen wegen der Vereinsautonomie nur sehr eingeschränkt der Kontrolle durch staatliche Gerichte unterliegen. Die Gerichte prüfen hier nur, ob die vereinseigenen Regelungen und „elementare rechtsstaatliche Normen“ eingehalten wurden und die Entscheidung nicht grob unbillig oder willkürlich ist. Das heißt: Vereine haben einen ziemlich weiten Handlungs- und Ermessenspielraum, solange sie sich an ein paar grundsätzliche Fairnessregeln halten. Doch sogar diese „Basics“ hat der Ehrenrat nach Auffassung des Landgerichts Essen nicht gewahrt.
Zum einen hat der Ehrenrat den Anspruch Dr. Horns auf rechtliches Gehör nicht hinreichend beachtet, weil ihm der veränderte Vorwurf nicht erneut zur Stellungnahme bekannt gegeben wurde. Sehr viel schwerer wiegt in den Augen des Landgerichts Essen aber, dass der Ehrenrat seine Befugnisse überschritten und eine „grob unbillige“ Fehleinschätzung vorgenommen hat. Ob ein Verhalten „unehrenhaft“ oder „respektlos“ sei, habe der Ehrenrat überhaupt nicht zu entscheiden. Er dürfe ausweislich der Satzung bzw. des Leitbildes nur darüber befinden, ob etwas grob unsportlich oder vereinsschädigend, satzungs- oder leitbildwidrig sei.
Das Landgericht Essen wird sehr deutlich: „Die Einschätzung, das beanstandete Verhalten des Klägers sei „grob unsportlich“, ist grob unbillig. Sie vernachlässigt in erheblichem Maße Zweck und Grenzen der dem Ehrenrat insoweit durch die Satzung auferlegten Prüfungskompetenz.“ Grund: Die Gespräche zwischen Dr. Horn und Tönnies hatten keinerlei sportlichen Bezug.
Genauso harsch verwirft das Landgericht die angebliche Satzungswidrigkeit. „Die Einschätzung, das Gesprächsverhalten des Verfügungsklägers lasse den Schluss zu, dieser missachte satzungswidrig die Mitgliederversammlung als oberstes Vereinsorgan und belege die Absicht, die Vereinsmitglieder zu täuschen, findet in dem vom Ehrenrat ermittelten Tatsachen keine Stütze und ist deshalb willkürlich.“
Und damit ist noch nicht Schluss mit den vernichtenden Abfuhren: Auch „die Bewertung des Ehrenrates, die verhängte Disziplinarmaßnahme sei wegen „leitbildwidrigen Verhaltens“ gerechtfertigt, ist grob unbillig.“ Obwohl der Ehrenrat durchaus ein weites Beurteilungsermessen hat, ob etwas gegen das Leitbild verstößt, ist die 12-monatige Suspendierung vollkommen überzogen.
„Die grobe Unbilligkeit ergibt sich wegen der erheblichen Dauer der angeordneten Suspendierung, mit welcher der Ehrenrat in deutlichem Umfang die Grenzen überschritten hat, die sich für sein Ermessen unter Berücksichtigung der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände ergaben: Der angegriffene Beschluss lässt nicht erkennen, dass der Ehrenrat die besondere Bedeutung der Aufsichtsratstätigkeit in gebotener weise in seine Abwägung einbezogen und mitgewürdigt hat.“ Der Aufsichtsrat übe sehr wichtige Kontrollfunktionen aus und werde von der Mitgliederversammlung gewählt, so dass auch nur diese über eine vorzeitige Abberufung entscheiden könne. Der Ehrenrat habe durch die Suspendierung von 12 Monaten bei 15 Monaten Restamtszeit die Entscheidung der Mitgliederversammlung entwertet. So etwas könne in Ausnahmefällen wie beispielsweise bei der Begehung von Straftaten zulässig sein, aber: „Die Grenze zur groben Unbilligkeit wird (…) überschritten, wenn man einen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung immerhin schon neun Monate zurückliegenden Gesprächsverlauf zum Anlass nimmt, eine so ausgedehnte Suspendierung auszusprechen, obwohl keine Vereinsschädigung, sondern lediglich zu beanstanden war, dass Gespräche des Verfügungsklägers mit dem Vereinsmitglied (…) nicht hinreichend „offen und vertrauensvoll“ geführt worden sind“.
Es ist äußerst fraglich, ob der Ehrenrat nach diesem vernichtenden Urteil des Landgerichts Essen noch haltbar ist. Das Beste wäre unzweifelhaft ein geschlossener Rücktritt, um den Weg für unvorbelastete Mitglieder freizumachen, denen die Vereinsmitglieder für eine faire Konfliktlösung vertrauen können.
Erfolgt dieser „ehrenhafte“ Rücktritt nicht, haben alle Vereinsmitglieder am 25. Juni zweimal die Qual der Wahl: Zum einen bei der Satzungsänderung – soll dieser Ehrenrat auch noch im Wahlausschuss mitmischen? Und natürlich bei der Blockwahl des Ehrenrates selber…