Saison 2015/2016: Hinrunden-Fazit und Analyse

Hinter dem FC Schalke 04 liegt eine Hinrunde mit vielen Aufs und Ab. Schalkes neuer Trainer André Breitenreiter sorgte von Beginn an für frischen Wind und konnte zur Freude der Fans wieder eine Kampf- und Laufbereitschaft innerhalb der Mannschaft etablieren – etwas das die Profis zum Ende der vorangegangenen Saison unter Roberto di Matteo völlig vermissen ließen. Der auch von André Breitenreiter erhoffte (Neben-)Effekt: „Unsere Fans und wir bilden wieder eine Einheit“. Zudem konnte Breitenreiter mit seinem Trainer- und Physioteam die Anzahl der Muskelverletzungen drastisch reduzieren.

Sportliche Achterbahnfahrt

Trotz des Verlustes von „Schlüsselspieler“ Julian Draxler an den VfL Wolfsburg startete S04 erfolgreich in die Saison: 16 Punkte nach den ersten 7 Liga-Spielen und Tabellenplatz 3 – ein Punkt hinter Borussia Dortmund – waren der verdiente Lohn. Doch bereits Spieltag 8 markierte einen Bruch. Mit 0:3 verlor Schalke zuhause gegen den 1. FC Köln.

Häufiges Bild: Leroy Sané jubelt. Bild: Gerd Krause Sportfotos
Häufiges Bild: Leroy Sané jubelt. Bild: Gerd Krause Sportfotos

Nach einem zwischenzeitlichen 2:1-Sieg gegen Hertha BSC Berlin konnte S04 in den folgenden 5 Spielen nur 2 Punkte holen. Der Ruhrpott-Club zeigte zwar viel Herz und starke Leistungen, vor allem in den Top-Spielen gegen Borussia Dortmund (2:3) und Bayern München (1:3), machte aber auch deutlich, dass die junge Truppe den Top-Clubs (noch) nicht gewachsen ist. Mit 6 Punkten aus den letzten 3 Spielen ergatterte Schalke 04 nach einem zwischenzeitlichen 8. Tabellenplatz immerhin Rang 6 zum Abschluss der Hinrunde.
Während Königsblau die Gruppenphase der Europa League souverän als Tabellenerster abschloss, lief es im DFB-Pokal nicht ganz wie geplant. Nach dem überzeugenden 5:0 beim MSV Duisburg, flog S04 nach einer 0:2-Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach in der zweiten Runde aus dem Pokal.

Breitenreiter sieht Optimierungspotenzial

Nicht unzufrieden äußerte sich André Breitenreiter in seinem vorläufigen Hinrunden-Fazit vor dem letzten Spiel gegen Hoffenheim. Der Ex-Paderborner ist vor allem mit der Entwicklung der jungen Spieler, der Laufbereitschaft und der Moral der Mannschaft zufrieden. Zudem habe die Mannschaft schnell seine Spielidee verinnerlicht.

Andre Breitenreiter
André Breitenreiter. Bild: Gerd Krause Sportfotos

Der Fußball-Lehrer sieht allerdings Verbesserungspotenzial und hat im Wesentlichen drei Problemfelder ausgemacht.Insbesondere im Mittelfeld sieht Breitenreiter Optimierungspotenzial. Zwar gelänge es seiner Mannschaft „sehr leicht, ins generische Drittel zu gelangen. Dort fehlen uns dann, gerade gegen tief stehende Gegner, Kreativität und Lösungen. Mit Julian Draxler haben wir diese Kreativität zu Beginn der Saison verloren. Diese Kreativität benötigen wir, um den Unterschied zu machen und uns klarere Torchancen herauszuspielen.“
Mit Blick auf sein junges Mittelfeld verweist Breitenreiter auf das Winter-Transferfenster: „Unsere Idee ist, für diesen Bereich Erfahrung zu holen, die als Korsettstange junge Spieler leiten kann.“ Außerdem wünscht sich Breitenreiter einen „größeren Konkurrenzkampf, um mehr nach dem Leistungsprinzip einfordern zu können“. Hier fällt einem sicherlich gleich der in der Hinrunde mehr als enttäuschende Schalker Sturm mit gerade einmal sechs Toren in 16 Ligaspielen ein.
Während Breitenreiter mit seinen jungen Spieler zufrieden ist, fordert er von seinen „etablierten Spielern noch mehr Verantwortung“. Und während die jungen Wilden mit beinahe durchgehend guten Leistungen glänzten, zeigten die Erfahrenen, ausgerechnet etwa Benedikt Höwedes oder Klaas-Jan Huntelaar, deutlich weiger Konstanz. Breitenreiters Forderung für die zweite Saisonhälfte: „Wir wollen auf Dauer mehr Konstanz in unser Spiel bringen.“

Taktische Analyse

Taktikexperte Karsten Jahn vom Taktikportal „Halbfeldflanke“ konzentriert sich in seinem Hinrunden-Fazit auf die taktische Entwicklung.

1. Das System Breitenreiter

Wie das Gros aller Bundesligisten auch setzte Breitenreiter auf eine stabile Defensive und überfallartige Konter. Auf Ballbesitz wurde wenig Wert gelegt. Es ging darum, viel Zug zum Tor zu entwickeln ohne die Defensive zu gefährden. Dazu arbeitete er stark am Umschaltmoment, aber auch an Kontern im Speziellen. Unter Keller und Di Matteo verkümmerten die Schalker Konterfähigkeiten, bis nur noch der Ruf übrig war. In der laufenden Saison änderte sich das. Laut Statistik hat Schalke in 17 Bundesligaspielen die meisten Kontertore (18) erzielt, vor Leverkusen (17) und Gladbach (15).

2. Vom 4-4-2 zum 4-2-3-1

Gekontert wurde, ebenfalls wie bei an vielen anderen Mannschaften auch, in einem 4-4-2 mit Fokus auf die Flügel. Angriffe wurden aus dem Zentrum heraus auf den Flügel verlagert, von wo aus der Spieler eine Hereingabe auf einen der beiden Stürmer brachte.

Veränderung vom 4-4-2 um 4-2-3-1: Die zweite Spitze wurde im Verlauf der Hinrunde zu einem 10er.
Veränderung vom 4-4-2 um 4-2-3-1: Die zweite Spitze wurde im Verlauf der Hinrunde zu einem 10er. Grafik: Karsten Jahn/Halbfeldflanke.de

Dieses Vorgehen war jedoch zu eindimensional und zu leicht auszurechnen. Breitenreiter musste das Spiel durch das Zentrum stärken. Doch der 10er Raum wurde komplett ignoriert. Und der 8er konnte diesen nicht effektiv besetzen ohne ein Loch ins Zentrum zu reißen. Darum zog er einen der Spieler aus der Doppelspitze (A) immer weiter zurück, bis er schließlich einen 10er installierte (B). Damit war die Evolution zum 4-2-3-1 vollzogen.
Jetzt gab es zwar noch immer einen Flügelfokus, doch es konnte jederzeit die Option durch die Mitte gezogen werden. Der Gegner wurde so stärker beschäftigt, zum Preis von einem Stürmer. Und mit laufender Saison wurde diese Option auch häufiger gezogen.

3. Der Ballbesitz

Nun verfolgt ein beträchtlicher Teil der Liga ein vergleichbares Konzept. Wenn aber zwei Mannschaften keinen Ballbesitz und nur kontern wollen, gibt es entweder ein Glücksspiel oder die vorsichtigere, die höher pressende oder die Mannschaft mit der besseren Pressingresistenz hat plötzlich mehr Ballbesitz als die andere. Das ist ein Problem, wenn es dafür eigentlich kein Konzept gibt. Schalke kam so recht häufig zu mehr Ballbesitz als es eigentlich wollte und hatte damit so seine liebe Mühe.
Immer, wenn Schalke das Spiel machen musste, tauchten Probleme auf, die auch unter Keller und Di Matteo schon omnipräsent waren. Da die Vorgänger von André Breitenreiter ebenfalls auf Konter setzten, dafür aber nie ein Konzept entwickeln konnten, sondern immer nur auf die Defensive setzten, hat der Schalker Sturm Probleme gegen tiefstehende Mannschaften. Eine solche Defensive zu zerspielen, benötigt kreative Ideen und viel Geschwindigkeit. Spieler müssen Läufe initiieren und abgestimmte Bewegungen abspulen. All das in hoher Geschwindigkeit um Löcher beim Gegner zu reißen und diese zu bespielen. Das fehlt Schalke. Und es ist schwer die Spieler dahingehend umzuerziehen, da die meisten sowas auf Schalke nicht kennen. Immer wieder standen 4-6 Spieler an der Abseitskante und wollten einen Torerfolg erzwingen ohne tatsächlich anspielbar zu sein. Denn dahinter klaffte häufig ein riesiges Loch zum Spielaufbau, bestehend aus Verteidigern und 6er.
Nun gab es dieses Problem nicht in allen Spielen. Besonders in der Europa League wurde sowas größtenteils recht gut hinbekommen. Das Offensivverhalten gegen Mannschaften die stark verteidigen, bleibt aber ein Thema, an dem Breitenreiter feilen muss.

4. Die Torschüsse

Schalke gab in der Bundesliga-Hinrunde knapp 15 Torschüsse pro Spiel ab, 32,9% davon gingen tatsächlich auf’s Tor. Bei der Anzahl der Schüsse liegt Schalke im Liga-Vergleich auf Platz 6, bei der Qualität der Abschlüsse aber nur auf Platz 12. Auch wenn relativ wenige Schüsse außerhalb des Strafraums abgegeben wurden (Platz 8), so wurden doch zu viele aus aussichtslosen Situationen abgegeben. Der Effekt war, dass Schalke recht viele Torschüsse abgeben musste, um ein Tor zu erzielen, nämlich 10,1 – nur 4 Mannschaften brauchten mehr. Das ist das, was bei Schalke in dieser Saison oft mit schlechter Chancenverwertung umschrieben wurde. Zum einen ist die Bundesliga recht gut in der Verteidigung von Flanken und zum anderen waren die Flanken selten wirklich gut.
In der Defensive gab es ebenfalls ein Problem mit Torschüssen, es waren schlicht zu viele. Nur 4 Mannschaften ließen mehr Schüsse auf’s eigene Tor zu. Der starken Endverteidigung war es zu verdanken, dass 12,7 Schüsse für ein Gegentor gebraucht wurden – drittbester Wert der Liga. Es wurden insgesamt allerdings viel zu viele Schüsse auf das eigene Tor zugelassen.

5. Das Pressing

Insgesamt ist das Pressing noch nicht so stark, wie Breitenreiter es zu Dienstantritt angekündigt hat. Selten wurde der Gegner konsequent früh attackiert und wenn, dann war dies oft relativ leicht zu umspielen, weil nur einzelne Mannschaftsteile oder Spieler das Pressing ausübten. Die Abstimmung unter den einzelnen Mannschaftsteilen wirkte nicht immer ausgegoren.
Darüberhinaus ist das Gegenpressing immer ein Thema. Schalke hatte Anzeichen davon, nicht viel mehr. Das hängt natürlich auch mit der Abstimmung der Mannschaftsteile zusammen. Nur wenn diese zusammenarbeiten, kann ein Gegenpressing funktionieren. Wenn nicht, dann steht die eigene Defensive komplett entblößt dar. Und das muss natürlich vermieden werden. Breitenreiter lässt also lieber kein (oder kaum) Gegenpressing spielen, statt ein schlechtes.
Deutlich sichtbar ist aber, dass die Art zu pressen sich stark verändert hat. Im Laufe der Hinrunde spielte Schalke immer mannorientierter. Zu Saisonbeginn noch stark auf den Raum bezogen, spielte Schalke besonders im November fast eine Manndeckung und machte den Gegnern das Leben damit schwer.

6. Ausgewählte Einzelspieler im Detail

Franco Di Santo kam unter großem Bohei ans Berger Feld. Schnell wurde deutlich, dass er eine sehr ähnliche Spielanlage hat wie Klaas-Jan Huntelaar. Letzterer ist als Tormaschine bekannt, der seit einiger Zeit versucht mitzuspielen. In den letzten Monaten gelang ihm das zum Teil sogar ganz eindrucksvoll. Sogar seine Passerfolgsquoten bewegten sich auffällig häufig über 80%. Bei Di Santo ist das anders. Er hat eine noch schlechtere Passquote (62%) als Fährmann (63,6%). Bei Torhütern ist das auf Grund von Abschlägen aber entschuldbar. Die Tormaschine Huntelaar hakt allerdings ebenfalls gehörig zur Zeit.

Franco di Santo
Franco di Santo. Bild: Gerd Krause Sportfotos

Breitenreiter erwähnte häufig, dass Di Santo dafür sehr beweglich ist und sich stark in den Dienst der Mannschaft stellt. In der Defensive ist er oft die erste Pressinglinie und setzt den Ballführenden mit aggressivem Anlaufen unter Druck. Allerdings geschahen diese Aktionen selten abgestimmt und der unter Druck gesetzte Spieler konnte sich mit nur einem einfachen Pass leicht befreien. Ähnliches ist weiter hinten bei Pierre-Emile Højbjerg zu beobachten. Beide Spieler kamen erst nach der Vorbereitung dazu und müssen noch besser integriert werden, die Abstimmung ist das Sorgenkind.
Dreh- und Angelpunkt im Spielaufbau war von Anfang an Johannes Geis. Dazu kippte er sehr konsequent zwischen die Innenverteidiger. Er spielt sagenhafte lange Bälle, Freistöße und Ecken. Gegen Mitte der Hinrunde allerdings griff er zu ausschweifend zu langen Bällen und zu viele davon landeten direkt beim Gegner. Wirkliche Probleme hatte er im Stellungsspiel. Im Spielaufbau stand er oft sehr tief und Schalke verlor die vertikale Kompaktheit. Dazu stand er häufig einem der Innenverteidiger auf den Füßen, was die Deckung durch den Gegner stark vereinfachte. In der Defensive sind seine Rausrück- und Verschiebebewegungen oft ein Faktor die Stabilität zu gefährden. Ein Indiz hierfür ist die starke defensive Stabilität in den Spielen, in denen er gesperrt war. Geis ist ein exzellenter und noch sehr junger Spieler mit vielen Stärken, allerdings muss er sein Stellungsspiel stark verbessern.
Leon Goretzka
Leon Goretzka. Bild: Gerd Krause Sportfotos

Max Meyer hatte zu Beginn der Saison einen schweren Stand, da Breitenreiter, wie oben beschrieben, nur über Flügel und Flanken kommen wollte. Erst mit den Aktivitäten, das Spielgeschehen selber besser unter Kontrolle halten zu wollen, spielte er eine größere Rolle. Zunächst auf dem Flügel, zeigte er eindrucksvolle Partien auf links und brachte das Spiel von dort aus immer wieder ins Zentrum. Die Evolution zum 4-2-3-1 bescherte ihm dann endlich wieder Auftritte als waschechten 10er, die er größtenteils nutzen konnte. Gelähmt durch das allgemeine Angriffsproblem, zeigte er immer wieder, dass da viel mehr möglich ist.
Und der Spieler der Hinrunde ist für mich ganz klar Leon Goretzka. Unglaublich, was der für einen Sprung gemacht hat. Das Rückwärtspressing und einleiten der Angriffe ist spektakulär großartig.

7. „Breitenreiter vs. Keller“

Zum Schluss noch ein kurzes Statement dazu, Schalke spiele genauso wie unter Keller. Zuletzt waren solche Unkenrufe zu vernehmen.
Breitenreiter brachte neuen Wind auf Schalke und das lässt sich auch auf dem Spielfeld sehen. Gruppentaktisches Verhalten ist deutlich erkennbar. Es gibt Spielzüge, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Hinrunde zogen. Sowas war unter Keller nie zu erkennen.
Das Entscheidende aber ist, dass es eine strukturierte Entwicklung der Mannschaft mit einem Plan dahinter gab. Die Evolution, wie oben beschrieben, war nicht fremdgetrieben oder improvisiert, wie fast alles unter Keller. Es wird deutlich, dass Breitenreiter versucht einen Schritt nach dem anderen zu machen. Und es wird mehr Veränderungen geben, so viel steht fest.
Meiner Meinung nach ist es eine gute Hinrunde gewesen. In wettbewerbsübergreifenden 25 Spielen wurden 43:28 Tore erzielt, bei 13 Siegen, 5 Unentschieden und 7 Niederlagen. In der Liga gibt es nur 6 Teams mit weniger Gegentoren. Das ist nicht überragend, zeigt aber, dass Platz 6 in der Liga nicht ganz unpassend ist.

Fazit

Schalke ist seit letzter Saison schon weit gekommen. Aber es gibt auch noch genug zu tun. Es fehlt nach wie vor eine Idee für das Angriffsspiel, von echtem Ballbesitzspiel ganz zu schweigen. Außerdem muss die Qualität der Torschüsse zu- und die Anzahl der gegnerischen Torschüsse abnehmen. Darüber hinaus muss innerhalb der Mannschaft weiterhin an der Abstimmung gearbeitet werden. Nur so kann das Pressing weiter verbessert und ein funktionierendes großangelegtes Gegenpressing eingeführt werden.
[Text-Quelle: Halbfeldflanke.de, gekürzt von der Schalke-News-Redaktion]