Analyse: Das Konzept von Roberto di Matteo

HalbfeldflankeNein, von einer guten Saison kann man in diesem Jahr nicht sprechen: Schalke verpasst aller Voraussicht nach die Champions League-Plätze und muss selbst um den Einzug in die Europa League bangen. Und Schalke wäre nicht Schalke, wenn bei größtenteils ausbleibendem Erfolg nicht alles in Frage gestellt würde. Die ersten Medien brachten sich schon vor rund anderthalb Wochen in Stellung und kritisierten erstmals Chef-Coach Roberto di Matteo.
Taktik-Spezialist Karsten Jahn hat in seinem Blog „Halbfeldflanke“ Schalkes System und die Konzeptprobleme Roberto di Matteos im Detail analysiert. Mit Karstens freundlicher Genehmigung können wir hier seine Gedanken mit euch teilen.
Von Karsten Jahn, „Halbfeldflanke.de“
Die Bundesliga biegt in die Zielgerade ein, faktisch jeder Trainer ist Mittelpunkt einer Diskussion. Auf Schalke wurde das Ziel, die Champions League Qualifikation, nicht erreicht. Genau darum wurde aber der neue Cheftrainer vor einem halben Jahr geholt. Was aber gerne übersehen wird: Das Primärziel hat er sehr wohl erreicht.
Jens Keller hat die erfolgreichste Rückrunde überhaupt abgeliefert. Aber, und das wurde hier schon vor einem Jahr detailliert diskutiert, das war nur eine Verkettung günstiger Umstände. Jetzt kam Roberto Di Matteo, gab Schalke eine Struktur, und liefert die schlechteste Rückrunde seit langem ab. Zum Teil wird ihm sogar vorgeworfen kein Konzept zu haben…

Das einfachste Konzept der Liga

Kein anderer Bundesligist spielt so simplen und klaren Fußball. Das (Grob-)Konzept ist so einfach, dass es weh tut. Seit RDM auf Schalke übernommen hat, schreit es aus jedem Spiel. Jede einzelne taktische Finesse ist direkt davon abgeleitet und alle Zahlen untermauern das Ganze. Aber man braucht noch nicht mal analytisch tätig werden, denn er hat es selbst gesagt. Von Anfang an:

“Man muss versuchen eine solide Abwehr zu haben. Die generelle Organisation der Defensive ist wichtig.”
Roberto Di Matteo, Amtsantritt auf Schalke, 8. Oktober 2014

Und er hält was er verspricht. Alles auf Schalke ist der Organisation der Defensive untergeordnet. Aus einer sicheren Defensive nach vorn spielen. Das Prinzip Stevens ins nächste Jahrhundert gebracht, wenn man so will. Schlaumeier kommen jetzt mit den Champions League-Spielen oder dem letzten Derby. Geschenkt. Aber: Schalke hat in der Rückrunde erst 11 Tore hinnehmen müssen. Nur die Bayern, Gladbach und Hertha BSC Berlin haben weniger Gegentore bekommen. Das ist kein Zufallsprodukt, sondern System.

System: Keine Gegentore

RDM führte die 5er-Kette ein um die Defensive weiter zu zementieren. Bei jedem Konter blieben immer mindestens vier Spieler zur Abdeckung zurück. Meist waren das die 3 Innenverteidiger und der 6er, gern aber auch pendelnd einer der Außenverteidiger. In jedem Fall wurde eine rautenartige Defensivstaffelung aufgebaut, um Angriffe abzufangen.
Einer der Punkte warum Neustädter in dieser Saison häufig kritisiert wird, ist ja, dass er nur defensiv spielt. Auch wundert sich die Arena häufig, warum Matip oder Höwedes fast nicht mehr aufrücken und so für Gefahr sorgen. Die Antwort ist bei allen dreien die gleiche: Das ist Teil des Systems der defensiven Organisation. Wenn die Spieler aufrücken, muss die Deckung von anderen übernommen werden. Alle anderen sind aber fest für Angriffe eingeplant. Also müssen sie hinten bleiben.
Das Gegenpressing, also die Umschaltbewegungen in die Defensive nach Ballverlust und den Gegenspieler direkt zu attackieren. um innerhalb von 2-6 Sekunden den Ball zurück zu erobern, wurde seit Di Matteos Übernahme von Spiel zu Spiel besser. Die Staffelungen stimmen inzwischen so gut, dass hohe Ballverluste oft gar nicht mehr bis zum Defensivverbund durch kommen. Die Defensive steht gut, interagiert gut, lässt dem Gegner wenig Platz. Und selbst in knappen, schlechten Spielen wie zuletzt gegen Augsburg oder Freiburg, bleibt die Null meist hinten stehen. Das Problem ist: Das tut sie vorne auch.

Problem: Keine Tore vorne

Insgesamt läuft es vorne deutlich nicht zusammen und so konnte Schalke in der Rückrunde erst 10 Tore erzielen. Da braucht man gar nicht erst darauf schielen, was die Tabellenspitze so an Toren erzielt hat.
Der Grund dafür ist, dass die Angriffe nicht selten durch die Defensivaufgaben der Spieler geprägt wirken. Will heißen, sie verhungern. Die Angriffe, nicht die Spieler. Wenn Höwedes Außenverteidiger spielt und nicht Uchida, dann ist der Grund dafür die defensive Stabilität, welche wiederum der Grund dafür ist, dass Farfán mit Ball allein an der Grundlinie steht und nirgendwo hinspielen kann. Aber längst ist es nicht immer so offensichtlich.
Viel schwerwiegender ist, dass RDM anscheinend nur wenig Zeit darauf verwendet das Spiel mit Ball zu trainieren. Zwar sind immer wieder Spielzüge zu erkennen, aber sonderlich verinnerlicht wirkt das nicht. Besonders wie sich der Ball am Flügel über Bewegungen des Außenverteidigers, 8ers und einen der Stürmer durchtankt, wirkt einstudiert. Was eine gute Sache ist. Allerdings auch nur ein Anfang.
Die Stürmer versuchen Gelegenheiten zu finden (Choupo-Moting) und für Flanken bereit zu stehen (Huntelaar). Generell scheint das Spiel im letzten Drittel zu stagnieren. Ähnliches trifft auf den Spielaufbau zu. Auffällig ist dabei, dass das Gros des Spiels im Halbraum stattfindet, dem Reich des 8ers.

Kernrolle Nr. 8

Besonders die Bewegungen der 8er allerdings wirken nicht immer so richtig strukturiert. Es geht vielmehr darum zu unterstützen. Die Spieler sollen Verbindungen schaffen, Angriffe koordinieren und bei alldem immer die Absicherung im Auge haben. Das kann man natürlich so machen. Allerdings ist das auch eine komplexe Aufgabe. So etwas einzustudieren geht nicht mal eben in einer Länderspielpause.
Es braucht viele Spiele und Konstanz für einen talentierten Spieler, eine solche Spielweise zu verinnerlichen und darin zu strahlen. Kevin-Prince Boateng hat das mal großartig gemacht. Zum Ende der Hinrunde. Auch Max Meyer lässt hier und da mal aufblitzen, dass er sowas vermutlich ganz gut könnte. Zumindest in den letzten paar Spielen. Höger und Barnetta ist sowas sicher auch zuzutrauen. Und, dass Goretzka wie geschaffen für diese Aufgabe ist, steht für mich völlig außer Frage. Nur hat der ja leider das Verletzungspech gepachtet.
Alle aber brauchen vor allem Zeit. Das System muss zusammenwachsen. So wie Guardiola in seinem ersten Jahr Zeit brauchte, die Grundlage zu setzen, so wie Klopp mit jedem Neuzugang ein Jahr Zeit brauchte, um diesem seinen Spielstil einzutrichtern, so wie Van Gaal sich gerade mit ManU erst langsam wieder an die Spitze anpirscht, so braucht auch Di Matteo etwas Zeit.

Gut System will Weile haben

Mit der nötigen Zeit wird, da bin ich sicher, das System um ein passendes Offensivspiel erweitert. RDM arbeitet weiterhin daran die taktische Flexibilität zu erhöhen und Gegneranpassungen so detaillierter vornehmen zu können.
Sicherlich tut so etwas kurzfristig weh. Schalke wollte in die Champions League, mit all seinen Implikationen bezüglich der Wirtschaftlichkeit und der eigenen Eitelkeit. Das Ziel wurde verfehlt. Das ist doof. Selten war die Bundesligaspitze aber auch so gut wie in dieser Saison. Wenn Schalke allerdings wirklich erfolgreich Fußball spielen will, muss eben auch mal Zeit investiert werden. Das Grundlegende Ziel wurde erreicht, die Defensive stärken. Jetzt muss die Entwicklung vorangetrieben werden. Doch sowas geht nun mal nicht von heute auf morgen.
Meines Erachtens nach ist Horst Heldt gut beraten, sich von der brodelnden Diskussion um RDM nicht anstecken zu lassen. Sicherlich ist einiges am aktuellen Spiel auszusetzen (erst 10 Tore geschossen in der Rückrunde). Allerdings funktioniert auch einiges ganz schön gut (nur 11 Gegentore bisher). Und von Geduld hat RDM bei Amtsantritt ebenfalls gesprochen.
[Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung von Karsten Jahn, „Halbfeldflanke.de“, veröffentlicht. Der Artikel wurde zum ersten Mal hier veröffentlicht. Es gilt die Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz]